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Authentizität, Nostalgie und Künstlichkeit im Jugendfilm
Von allen Genres,
ausgenommen den Sonderfall Musical bzw. Musikfilm im allgemeinen, ist das Genre des Jugendfilms dasjenige, das am
engsten mit der populären Musik verbunden ist. Das scheint auf den ersten Blick einleuchtend, ist doch die
Popmusik ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Bestandteil einer jeden Jugendkultur, auch noch in Zeiten, wo
verschiedene Produzenten allmählich das Rentenalter erreichen. Auf einer weiteren Ebene als der bloßen
Diagnose ist diese Verbindung ebenso naheliegend: der der Popmusik inhärente Vitalismus (vgl. dazu Ullmaier:
Pop Shoot Pop) findet seinen besten Vertreter in der aufs Erleben fixierten Jugend. (Hierin mag auch der Grund
für die Möglichkeit liegen, daß diverse Popstars auch als – im Rahmen des in der Popmusik
bestimmenden Starkultes – Alte und Überholte noch ihr Publikum erreichen: wo der Vitalismus in einer
Gesellschaft nicht allein die Jugend bestimmt, sondern alle Bereiche und Altersstufen als oberstes Ziel
beeinflußt, findet auch der „ältere Vitalismus“ noch seine dankbaren Abnehmer - ich nehme
an, daß diese Revival-Phänomene – „Re-Vitalismus“-Phänomene –, seien es
solche Dinge wie die Woodstock-Wiederholung oder die älteren Semester bei Stones-Konzerten, in anderen
Aufsätzen dieser Ausgabe genauer berücksichtigt werden, darum belasse ich es bei dieser
Andeutung.)
Im Film ist diese vitalistische Verbindung in gleicher Weise zu finden wie im realen Leben,
sofern die Darstellung der betreffenden Jugendkultur nur „authentisch“ ist. Die dokumentarische
Authentizität bringt hier automatisch die vitalistische Authentizität mit sich, wobei auf der Meta-Ebene
freilich nicht erkannt wird, daß die vitalistische Authentizität der bestimmende
Qualitätsmaßstab ist, wenn dokumentarische Authentizität verlangt wird. In dem Buch der
Pädagogen Schäfer und Baacke läßt sich diese versteckte Maßstabsverschiebung an vielen
Stellen finden (z.B. S. 27, 32, 39, 66, 80f., 85ff., 110ff., 123, 142ff., 191), was dann natürlich zu einigen
seltsamen Wertungen und Gewichtungen führt. So werden den hier näher zu untersuchenden Filmen wie
American Graffiti
und seinen Nachfolgern gerade drei von über 250 Seiten gewidmet. Diese begriffliche
Unschärfe läßt sich umgehen, indem man sich zuerst einmal die Frage stellt, welchen filmischen Wert
eine (dokumentarisch) authentische Darstellung einer Jugendkultur überhaupt hat, bzw., worin ihr Wert liegen
sollte. Wäre hier dem Betrachter nicht besser gleich mit einer Dokumentation gedient, wozu bedarf es des
Umwegs über den Genrefilm, wenn es denn nur um dokumentarische Darstellung geht? Bei einer sauberen Trennung
von Darstellungsstil und der dadurch hervorgerufenen Empfindungsweise fällt die Antwort leicht: es geht, auch
da, wo die Realitätsnähe der Darstellung hervorgehoben wird, nie um
„Realitätsnähe“ an sich, sondern um den vitalistischen Ausdruck, den der Jugendfilm als
Spielfilm aufgrund seiner umfangreicheren emotional manipulativen Mittel (darunter als ein wichtiges die Popmusik)
meistens besser erreichen kann als der Dokumentarfilm. In diese Kategorie des „realitätsnahen“
Jugendfilms fallen vor allem die (west- wie ost)deutschen Beispiele (etwa Hark Bohms Filme wie
Nordsee ist Mordsee
(1975), Eberhard Itzenplitz’
Die neuen Leiden des jungen W.
(1975), Rüdiger Nüchterns
Schluchtenflitzer
(1978) oder Max Willutzkis
Die Faust in der Tasche
(1978), um nur einige aus einer verhältnismäßig großen Anzahl zu
nennen), Filme des New British Cinema (z.B.
My Beautiful Laundrette
(1985) von Stephen Frears oder
A Letter to Brezhnev
(1985) von Chris Bernard) sowie weitere Beispiele speziell des europäischen
Kinos.
Kompliziert, speziell in Hinsicht auf den Themenschwerpunkt dieser Ausgabe, wird es bei dem Blick auf
das amerikanische Kino: hier geht die Gleichung authentische Darstellung = authentischer Ausdruck nicht mehr auf.
Und das nicht erst seit den 90ern, in denen die Revival-Phänomene auch in der Popmusik um sich greifen und
somit eine Beeinflussung eben der mit der Musik eng verbundenen Genres naheliegend wäre. Dieser
verhältnismäßig junge Einfluß zeigt sich eher in anderen Genres als dem Jugendfilm, und zwar
vor allem in Form des eklektizistischen Zugriffs, der in den besseren Filmen ironisch-kommentierend eingesetzt
wird (bei Quentin Tarantinos
Reservoir Dogs
noch stärker als in
Pulp Fiction
und bei David Lynch vor allem in
Blue Velvet
und
Wild at Heart). Hier geht es aber auch nicht mehr darum,
das präsentische Moment der Popmusik für den vitalistischen Ausdruck des Films auszunutzen, sondern um
andere Darstellungsformen und -funktionen wie Hommage, Parodie, Zitat, Travestie, Kontrafaktur usw.
Im
scheinbar so präsentischen Jugendfilm-Genre findet sich dagegen schon weitaus früher ein Rückgriff
auf „überholte“ Stufen der Popmusikentwicklung: George Lucas’ American Graffiti
ist von 1973, und „wie kaum ein anderer Film verdichtet
American Graffiti
Typen, Themen und Treffpunkte zu einem in sich stimmigen Nostalgie-Ensemble“
(Schäfer/Baacke, S. 250). In einer Zeit, wo in anderen Genres (für den Horrorfilm habe ich das bereits
gezeigt, analoges gilt für andere Großgenres wie den Kriminalfilm) die authentische Darstellung das
Maß aller Dinge ist, greift ausgerechnet der Jugendfilm zurück auf historische Muster, um einen
nostalgischen Rückblick auf eine verlorene Zeit der Unschuld zu gestalten; und das durch den Einsatz von
Popmusik und Elementen der Popmusikkultur (der Diskjockey Wolfman Jack), wo doch die Popmusik auf dem Weg in eine
besonders vitalistische Phase ist. Dabei bleibt bekanntermaßen
American Graffiti
kein Einzelfall, sondern zieht eine Reihe von Filmen nach sich, die alle nach dem selben
Muster funktionieren: die
Eis am Stiel-Reihe (Teil 1: Eskimo Limon/Lemon Popsicle
von Boaz Davidson (1977)), Philip Kaufmans
The Wanderers
(1978), Barry Levinsons
Diner
(1982), Francis Ford Coppolas
The Outsiders
(1982) und Rob Reiners
Stand By Me
(1986) sind nur die bekannteren Beispiele (selbst in Deutschland ist diese Welle
angekommen, allerdings erst Ende der 80er). Daraus ergeben sich eine Reihe von Fragen: wie kann Popmusik, die per
se präsentisch ist (und das war ja auch die 50er/60er-Jahre-Musik in
American Graffiti), für Nostalgieformen verwendet
werden?; was heißt es in Bezug auf authentische Darstellungsweisen, wenn Schäfer/Baacke von einem
„in sich stimmigen Nostalgie-Ensemble“ schreiben?; was geschieht mit der emotionalen Bedeutsamkeit,
dem vitalistischen Ausdrucksvermögen der Popmusik, wenn sie für nostalgische Kontexte instrumentalisiert
wird?; was sind die Bedingungen für den Einbruch der Nostalgie ausgerechnet im Genre des Jugendfilms?; wie
wirkt die Nostalgieform des Präsentischen auf die aktuellen Formen und gibt es hier überhaupt eine
Verbindung?
Ein sinnvoller Ansatzpunkt, von dem aus die Nostalgiefrage bzw. die Frage nach der Bedeutung von
Rückgriffen auf Vergangenes verhältnismäßig einfach beantwortet werden kann, scheint mir in
dem Zitat von Schäfer/Baacke zu liegen. Was meint „innere Stimmigkeit“ in diesem Zusammenhang
denn anderes als Authentizität? American Graffiti
ist gerade darum so gelungen, weil er ein authentisches Bild einer bestimmten Jugend
erstehen läßt. Allerdings ist es nicht wie in vielen anderen Jugendfilmen ein Bild der Jugend der
jeweiligen Gegenwart, sondern ein rückschauend durch Nostalgie gebrochenes Bild. Die Authentizität aber
wird vor allem durch den Einsatz der Popmusik geschaffen, die als Musik einer vergangenen Stufe zwar in der
Gegenwart kein präsentisches Potential mehr entfalten kann, aber ihr ursprüngliches Potential durchaus
bewahrt hat, was dann dazu führt, daß sie in der ihr gemäßen Zeit, dem historischen Umfeld
1962, die präsentische Wirkung erzeugen kann. Das heißt aber, daß die Popmusik keineswegs für
eine ihr fremde Wirkung instrumentalisiert wird, sondern ihre ursprüngliche Wertigkeit und ihr
Ausdrucksvermögen in einem historischen Kontext aktualisiert werden. Damit sind zwar drei Fragen beantwortet,
aber zugleich entsteht ein neues Problem: welchen Sinn hat die Rede vom Präsentischen, Vitalistischen oder
Authentischen in einem offensichtlich nostalgisch geprägten emotionalen Umfeld? Hierzu wieder ein hoffentlich
erhellendes Zitat von Schäfer/Baacke: „Wie kaum ein anderer Film hat er es verstanden, den Abschied von
der Jugend und die gemischten Gefühle gegenüber dem Erwachsenwerden so unprätentiös und
sensibel einzufangen, daß er – obwohl er an eine bestimmte Zeit gebunden ist – zeitlos
bleibt.“ (S. 250)
American Graffiti
ist also zeitlos an eine bestimmte Zeit gebunden. Zwar haben wir in dem Adjektiv
„zeitlos“ eine Umschreibung des Präsentischen, aber das erklärt nicht den offensichtlichen
Widerspruch zwischen zeitgebunden und zeitlos. Aus diesem Paradoxon gibt es innerhalb dieser Diskursebene kein
Entkommen: wo das Authentische an die unmittelbare, aktuelle, präsentische Erfahrung gebunden bleibt, ist die
Rede von zeitgebunden authentischer Erfahrung Unsinn.
Eine Möglichkeit, das Authentizitätskonzept
mit der offensichtlichen Nostalgieform in
American Graffiti
zu versöhnen, könnte darin bestehen, auch die (emotionale) Erfahrung von
Nostalgie als authentische, unmittelbare Erfahrung einzustufen. Das ist sicher richtig, scheint mir aber das
Besondere dieser Darstellungsweise nicht zu treffen, denn sonst müßte ja jeder einzelne der Songs aus
diesem Film unabhängig von dem Umfeld genau die gleiche Wirkung evozieren können. Für den einen
oder anderen mag das sogar zutreffen (vgl. die Frage nach der Funktionsweise des Evergreens); es erklärt aber
nicht, warum gleiche Songs in verschiedenen Filmen durchaus verschiedene Funktionen erfüllen können.
Daraus folgt als weitere Erkenntnis, daß die präsentische Wirkung kontextabhängig ist, was bei
„überholten“ Formen auch naheliegend ist, sonst wären sie ja nicht
„überholt“. Das heißt aber auch, daß die oben genannte Möglichkeit einer
Versöhnung von Authentizität und Nostalgie umgedreht werden muß. Die gemachte Erfahrung ist
tatsächlich eine unmittelbare, sie findet allerdings in einem mittelbaren Kontext statt. Und damit stehen wir
wieder am Anfang: Zeitloses innerhalb von Zeitgebundenheit.
Das ist allerdings die Grundstruktur all jener
Revival-Phänomene, die kein pseudo-postmodernes, d.h. beliebiges Patchwork verschiedener Möglichkeiten
sind („anything goes“), sondern weiterhin auf die authentische Erfahrung setzen. Darum bleibt keine
andere Möglichkeit, dieses Paradoxon aufzulösen als das Überschreiten des immanenten Diskurses: Ich
habe an verschiedenen Stellen bereits auf das Konzept des authentischen Eklektizismus als Zeichen einer sinnvollen
Postmoderne hingewiesen; damit wurde eine Authentizität beschrieben, die sich nicht allein aus unmittelbarer
(im Sinne von präsentischer) Erfahrung ableitet. Allerdings kommt
American Graffiti
ohne jegliche postmoderne Darstellungsmittel aus: es finden sich keine ironischen
Brüche außerhalb des Inhalts auf einer Meta-Ebene, es wird nicht mit Zitaten in Form intertextueller
Verweise gearbeitet, es gibt keine verschiedenen Verständnisebenen usw. Vor allem jedoch ist der Film
keineswegs pluralistisch verfaßt (eines von zwei notwendigen Merkmalen für die Postmoderne);
American Graffiti
ist in seinem nostalgischen Anspruch absolut, man könnte auch sagen: totalitär,
weil er beim Rezipienten genau dieses Gefühl hervorzurufen bestrebt ist – und damit ist er keinesfalls
postmodern. Allerdings hat die postmoderne Möglichkeit eines authentischen Eklektizismus gezeigt, daß
der puristische Authentizitätsbegriff viel zu eng gefaßt ist, um alle Formen von authentischer Erfahrung
zu fassen; ja eher ist dieser Purismus verantwortlich für eine unzulängliche Einschränkung
authentischer Erfahrung, die von einigen Hohenpriestern (von Adorno über Derrida bis Heidegger) diktiert
wurde und für so manches unsägliche Machwerk verantwortlich ist.
Ein Authentizitätsbegriff,
der allein auf das Präsentische setzt, ist also nicht haltbar, ebensowenig wie er letztlich durchsetzbar ist.
Authentische Erfahrung ermöglicht auch ein Film wie
American Graffiti , gerade durch den historischen Kontext,
und er ist damit auch unter authentizitätsgeleiteten Wertungsmaßstäben eben so
„wertvoll“ wie all jene mit beschränkten filmischen Mitteln arbeitenden deutschen Jugendfilme der
70er.
Damit ist auch die Frage nach der gegenseitigen Wechselwirkung von „authentischen
Nostalgieformen“ und präsentischen Formen beantwortet: zunächst können die nostalgischen
Formen an dem Authentizitätscharakter des Aktuellen partizipieren, indem das vergangene Aktuelle im
Historischen erneut aktuell wird; zugleich eröffnet zumindest theoretisch die Kenntnis der nostalgischen
Authentizitätsmöglichkeiten ein Ausbrechen aus der Fixierung aufs Präsentische auch bei den
aktuellen Formen – wovon diese nur profitieren können, da sie nicht notwendig immer dem
Alleraktuellsten hinterher hecheln müssen.
Aber nicht nur das Historische kann Ort von
Authentizität sein: wie bereits angesprochen, ist die Gleichung authentisch-dokumentarische Darstellung =
authentisch-vitalistische Wirkung im vor allem amerikanischen Genrefilm nicht gerade zwingend. Schon American Graffiti
ist als Genrefilm weit entfernt von einer authentisch-dokumentarischen Darstellung, weil
er gerade in seiner Eigenschaft als
Spielfilm
bestimmten Grenzen unterliegt, die in diesem Rahmen als Genrespielregeln bezeichnet werden
können. Diese Spielregeln sind indes topisch, nicht unbedingt künstlich, aber wenigstens formelhaft
wiederholbar, bis sie zum Klischee – einem unverzichtbaren und wertvollen Bestandteil jedes Genrefilms
– kristallisieren. Daß auch Klischees irgendwann etabliert werden müssen und dann im eigentlichen
Sinn keine Klischees sind – es wäre zu untersuchen, ob ein Klischee schon bei seinem ersten Auftreten
einen Klischeecharakter sui generis hat –, spielt nur bei der aktuellen Rezeption eine Rolle; spätere
Rezipienten erkennen auch das als Klischee, was ursprünglich vielleicht unkenntlich war. Diese historisch
vermittelte Rezeption wirkt sich freilich nur bei Filmen aus, die eine andauernde Wirkungsgeschichte besitzen (das
sind meist Filme, die mit dem Prädikat „Kult“ versehen werden). Und von diesen Filmen gibt es
eine Reihe im Jugendfilmgenre, denen interessanterweise auch heute noch von der Kritik
„Authentizität“ zugesprochen wird. Einer von ihnen, der erste, der diesen Status des Kultfilms
erreicht hat, ist Nicolas Rays
Rebel Without a Cause
von 1955, dem etwa der amerikanische Reich-Ranicki der Filmkritik Leonard Maltin
zugesteht, daß er „remains wrenchingly powerful, despite some dated elements“. Hier soll nicht
über die Leistung James Deans gesprochen werden, der in
Rebel Without a Cause
der eigentliche Grund für die authentisch-vitalistische Wirkung ist (vgl. dazu
Schäfer/Baacke, S. 84ff. und dort die aufschlußreichen Zitate von Elia Kazan: „James Dean war
ziemlich sinnlos [ich vermute, im Original stand hier „senseless“, was natürlich
„unvernünftig“ bedeutet, F.H.] in seiner Außenseiter-Rolle. Es war reine Emotion. (...)
James Dean war genau wie ein Tier. Er spielte völlig instinktiv.“), sondern über das Umfeld, in
dem diese Geschichte spielt. Zunächst fällt auf, daß Hauptthemen wie die Identitätssuche oder
der Konflikt mit den Eltern, vor allem dem Vater, Motive sind, die nicht gerade von den Autoren (Drehbuch: Stewart
Stern nach der Irving Shulman-Adaption einer Story von Robert M. Lindner) erfunden wurden: die
Identitätssuche als Suche nach einem Platz in der Gesellschaft findet sich bereits breit ausgewalzt in den
Bildungsromanen des 19. Jahrhunderts, und der Vater-Sohn-Konflikt hat einen Höhepunkt im deutschen
Expressionismus. Auf der anderen Seite etabliert
Rebel Without a Cause
bestimmte Elemente, die dann geradezu konstitutiv für andere Filme des Genres werden;
z.B. erscheint das Autorennen als Mutprobe (der „chickie run“) u.a. in
American Graffiti. Entscheidender für diese
Betrachtung ist jedoch, daß der Film, obgleich Ray Hunderte von Fällen Jugendliche vs. Polizei
untersucht hat, von einer bloße filmsprachliche Stilisierung weit übersteigenden Künstlichkeit,
wenn nicht gar irrealistisch ist. Das Overacting von Natalie Wood in vielen Szenen paßt ebenso wie das Spiel
der anderen (ausgenommen Dean) ausgezeichnet zu dem melodramatischen Technicolor-Touch, den die meisten
Hollywood-Filme dieser Zeit haben, ist aber weit entfernt vom Authentisch-Dokumentarischen. Diese formale
Künstlichkeit wird aber noch übertroffen von der Darstellung der Welt, in der diese Jugendlichen leben:
zwischen der Welt der Jugendlichen und der Welt der Erwachsenen gibt es keine Übergänge, jede Welt ist
für sich abgeschlossen, Erwachsene dringen nur als autoritäre Dämonen in diese Welt ein. Man
erinnere sich an die Szene, in der die Haushälterin von Platos Eltern allein aufgrund ihres Erwachsenseins
die Jugendlichen, die sonst ihre Zeit mit tödlichen Autorennen und Messerstechereien verbringen, vertreibt
als seien sie bloß eine Schar Tauben; ebenso an das massive, über bloße Kommunikationsprobleme
hinausgehende Unverständnis auf den beiden Seiten. Trotz fehlender eigener Kenntnisse scheinen mir die
Verständnisschwierigkeiten zwischen Erwachsenen und Jugendlichen doch arg übertrieben.
„Übertrieben“ freilich nur im Blick auf eine realistische Darstellung der Jugend; im Rahmen des
Genres ist diese Künstlichkeit sogar notwendig, um den Eindruck des Authentischen hervorzurufen. Das
Erscheinen der James Dean-Figur in einem alltäglichen Rahmen, der normalerweise die Momente exzessiver
Emotionalität quantitativ weit übertrifft, zerstörte sofort den vitalistischen Eindruck. Dean kann
als Jim nur in einer irrealen Kinowelt seine Wirkung entfalten, und um dieses Eindrucks willen muß die
Realität so weit verfremdet werden, daß selbst der tragische Höhepunkt nur unter diesen irrealen
Gegebenheiten möglich wird. So ist unter dem leitenden Gesichtspunkt einer realitätsnahen Darstellung
– man erinnere sich an die Recherche-Arbeit Rays! – der ganze Konflikt eine melodramatische
Konstruktion, wobei der Konflikt an sich lösbar ist, die Konstruktion jedoch notwendig zu dem tragischen Ende
führt. Eine vernünftig-argumentative Lösung des Konfliktes widerspräche dem vitalistischen
Charakter der Dean-Figur und damit dem Eindruck, den der Film mindestens bei den damaligen Zuschauern erzeugen
wollte und erzeugt hat.
Mit Blick auf die Frage nach den Möglichkeiten der Darstellung von
Authentizität läßt sich an Rebel Without a Cause
also eine weitere Möglichkeit erkennen: der Film ist keineswegs nostalgisch, sondern
durchaus präsentisch. Aber diese Präsenzerfahrung ist nicht nur in ein künstliches Umfeld
eingebettet, sondern auch durch sie bedingt: aus der Künstlichkeit erwächst die Authentizität, und
das nicht etwa über die bekannten Avantgarde-Mechanismen Künstlichkeit - Befremden - Authentizität.
Im Gegenteil: die topische Struktur, nach Meinung der Authentizitäts-Fanatiker grundsätzlich ungeeignet,
garantiert Authentizität.
Und das ganz ohne Popmusik:
Rebel Without a Cause
ist mit einem typischen, bisweilen reichlich melodramatischen Score von Leonard Rosenman
(interessanterweise einem Protegé von Arnold Schönberg; hier merkt man es aber nicht, ich wenigstens)
versehen. Dazu im Gegensatz steht der nächste wichtige Film, in dem die Popmusik eine äußerst enge
Verbindung zu den Bildern eingeht: Dennis Hoppers
Easy Rider
von 1969. Eigentlich ist
Easy Rider
mehr Road Movie denn Jugendfilm, aber wegen seines großen Einflusses auf die
Jugendlichen dieser Zeit hier durchaus am Platz. Weil er ebenso ein Kultfilm ist wie
Rebel Without a Cause
und dementsprechend bekannt und besprochen, kann ich mich wieder auf einige sonst eher
vernachlässigte Aspekte beschränken.
Entsprechend seiner Zuordnung zum Road Movie hat
Easy Rider
die typische Stationenstruktur: die Straße ist Bindeglied zwischen Orten, an denen
die eigentlich handlungsrelevanten Dinge geschehen. Ebenso typisch für einen Road Movie ist der Aufbruch zu
einem Besseren, der schließlich scheitert (über dieses erstaunlich konservative Motiv, das letztlich
besagt: „Es ist besser, du bleibst daheim.“, ein andermal mehr). Trotz dieses Scheiterns wurde
Easy Rider
als authentischer Ausdruck einer Freiheitserfahrung rezipiert – um es
zurückhaltend auszudrücken. Steppenwolfs
Born to Be Wild
wurde geradewegs zu einer Hymne, und der Film wurde thematisch mit dem Refrain
identifiziert. Nun kommen wir im Falle von
Easy Rider
der Gleichung authentische Darstellung = authentischer Ausdruck auf den ersten Blick
wieder näher: schon durch seine Produktionsbedingungen ist er einer realistischen Darstellung näher als
die typischen Hollywood-Produktionen („almost every critic raved about its accurate depiction of American
life at the time“, Maltin). Das ist alles bekannt und offensichtlich; diesmal ist es allerdings die Aussage,
die nicht so recht passen mag. Dabei geht es nicht so sehr um den Verlust der Freiheitsutopie durch den Tod von
Wyatt, Billy und George. Das ließe sich verschmerzen, da es nur das Ergebnis des typischen Redneck-Verhaltens
ist. Entscheidender ist die konsequente Desavouierung aller Lebensentwürfe, von denen sich nicht nur die
begeisterten Rezipienten ein authentischeres Leben erhofften. Hippie-Kommune, Leben auf der Straße, Karneval
(Mardi Gras), Drogenkonsum (der mißratene LSD-Trip): das alles wird als unbrauchbar dargestellt. Wyatt (Peter
Fonda) weist kurz vor Ende in einem Gespräch mit Billy (Dennis Hopper), der glaubt, durch Geld frei zu
werden, zweimal darauf hin, daß sie „Blindgänger“ seien. Damit wird durch eine Hauptfigur
das ganze Konzept dieser Suche nach einer lebbaren Utopie als fragwürdig abqualifiziert. Das ist aber nicht
der einzige Einwand gegen die nachgerade unglaubliche Fehlrezeption dieses Films: es gibt nämlich in dem Film
eine einzige positive Utopie, die zudem als lebbar und erlebbar dargestellt wird. Und das ist ausgerechnet das
bodenständige Leben der Rancher einschließlich Tischgebet, das von Wyatt auch im Dialog als
uneingeschränkt positiv gewertet wird. Wie läßt sich diese Feier ländlicher Seßhaftigkeit
mit der großartigen Freiheitserfahrung, die diesen Film in den Augen vieler Rezipienten auszeichnet,
verbinden? Eigentlich überhaupt nicht; die authentische Erfahrung wird zugunsten eines ganz und gar
„unauthentischen“ – im Sinne der Authentizitätspropheten – Alltagslebens
verabschiedet.
Somit ergibt sich eine neue Kombination: die Aussage widerspricht der Darstellung und dem
Ausdruck, was den normalen Zuschauer offensichtlich nicht daran hindert, sich im Zweifelsfall für den
Ausdruck zu entscheiden, wenn er denn nur dem eigenen Verlangen nach Authentizität weit genug entgegenkommt.
Nun könnte man meinen, daß die Aussage, als nur über den Verstand zu erkennendes Element, ohnehin
bei Fragen nach der nur erlebbaren Authentizität hintanstehen muß, wenn nicht gar völlig
vernachlässigt werden kann. Allerdings sollte es doch stutzig machen, wenn sie so deutlich wie in
Easy Rider
daherkommt, und sich der „ewige Rebell“ Dennis Hopper (er schrieb zusammen mit
Fonda und Terry Southern auch das Drehbuch) als Anhänger des Landlebens entpuppt. (Inwieweit das nicht eine
andere Form von Authentizität ist, soll hier nicht weiter untersucht werden; allemal ist sie von dem Konzept
einer vitalistischen Authentizität, die auf ein intensiveres und gesteigertes Erleben setzt, weit
entfernt.)
Um den Kreis der Jugendfilme mit Dennis Hopper zu schließen (er spielte schon den Halbstarken
Goon in
Rebel Without a Cause ; erwähnt werden sollten in
diesem Zusammenhang noch die Filme Out of the Blue,
River’s Edge
und
Colors
mit bzw. von Hopper), soll noch ein weiteres, letztes Beispiel herangezogen werden:
Rumble Fish
(1983) von Francis Ford Coppola. In
Rumble Fish
kehrt – neben Dennis Hopper – vieles wieder, was die bisher besprochenen Filme
auszeichnet: die Nostalgie, die Künstlichkeit, nahezu alle Themen, Motive und Topoi des Genres Jugendfilm,
dazu drei Darsteller, die mehr oder weniger mit dem typischen Rebellenimage behaftet waren (Matt Dillon, Mickey
Rourke und eben Hopper), mithin die besten Voraussetzungen, um auch hier wieder einen authentischen Ausdruck zu
schaffen. Genau das gelingt
Rumble Fish
aber nicht. Coppolas Film ist einerseits viel zu artifiziell, um noch von den hier
angesprochenen Möglichkeiten des authentischen Ausdrucks zu profitieren, andererseits zu sehr Genrefilm, um
über die Möglichkeiten der Avantgarde-Mechanismen zu wirken. Der Verzicht auf den üblichen
Popmusik-Einsatz tut ein übriges; Stewart Copelands Score (der erste des
Police -Drummers) ist ebenso weit entfernt von den typischen
Popsongs wie von einer traditionellen Hollywood-Musik. Notwendig schneidet dieser Film, der, was die filmische
Seite betrifft, den bisher genannten Jugendfilmen weit überlegen ist, bei einem Kritiker wie Maltin ziemlich
schlecht ab; in Europa, speziell in Frankreich, hat Rumble Fish
dagegen Kultstatus.
Für die hier leitende Frage nach den Möglichkeiten
eines authentischen Ausdrucks ergibt sich nach dieser knappen Übersicht über einige wichtige Filme
zunächst, daß der Rezipient „seine“ Authentizität da findet, wo er sie finden will. Er
läßt sich weder durch ein nostalgisches Umfeld, noch durch Künstlichkeit, noch durch eine
widerstreitende Aussage abhalten, wenn es überhaupt in dem betreffenden Film irgendwo ein Element gibt,
daß als authentischer Ausdruck erlebt werden kann. Das Feld von Möglichkeiten, sowohl Authentizität
zu erzeugen, wie zu erfahren, ist weit gespannt und stößt erst bei einem hochartifiziellen Film wie
Coppolas
Rumble Fish
an seine Grenzen (die gegenüberliegende Schranke wäre ein so schlecht gemachter
Film, daß er ein Interesse der Zuschauer nicht einmal über den Authentizitätsausdruck erzeugen
kann).
Vor diesem Hintergrund erscheint die spezielle Form des Revivals nur als eine weitere
Möglichkeit, ein wieder neues Feld der Authentizitätserfahrung zugänglich zu machen, wenn die
aktuellen Möglichkeiten aus welchen Gründen auch immer dafür nicht geeignet erscheinen.
Das
verweist zum Schluß noch auf die letzte offene Frage nach dem Grund für die Nostalgieformen. Es kann
nicht übersehen werden, daß bis Ende der 80er/Anfang der 90er die „nostalgische“ Richtung
wesentlich mehr gelungene Filme hervorbringt als die „authentische“, die es – wie gesagt –
in dieser reinen Form im amerikanischen Genrekino so nicht gibt. Eine qualitativ gelungene Rückwendung zur
– in Maßen – „authentischen“ Form gelingt erst Filmen wie
Colors
(Dennis Hopper, 1988),
Boyz’n the Hood
(John Singleton, 1991),
Menace II Society
(Albert und Allan Hughes, 1993) oder
Romper Stomper
(Geoffrey Wright, 1993). Daneben gibt es in Europa eine stärkere Linie des
„authentischen“ Jugendfilms, der aber auch vor allem in den letzten Jahren große Beachtung
gefunden hat (von Alan Parkers
The Commitments
(1991) über Mike Leighs
Naked
(1993) bis Danny Boyles
Trainspotting
(1995) und Mathieu Kassovitz’
La Haine
(1995)). Diese Richtung ist auch im unabhängigen amerikanischen Film –
verbunden mit der Generation X-Vorstellung – auf dem Vormarsch (etwa
Kids
von Larry Clark (1995)). Auf die gesamte Entwicklung bezogen scheint hier eine Abkoppelung
von den Entwicklungen in der Popmusik stattzufinden oder zumindest eine zeitliche Verschiebung. Die
zwischenzeitliche Punk- und New Wave-Bewegung findet auf filmischer Seite, soweit es den Jugendfilm betrifft,
keine angemessene Entsprechung; eine gewisse Gemeinsamkeit gibt es erst wieder bei den neueren Filmen (etwa Hip
Hop und Rap in den Filmen über schwarze Jugendliche und Jugendbanden).
Allerdings ist auch die
Entwicklung in der Musikgeschichte nicht so eindeutig:
American Graffiti
traf auf ein aufnahmebereites Publikum, da auf der Musikseite der „gute, alte“
Rock ‘n’ Roll in dieser Zeit eines seiner Revivals erlebte (z.B. Auftritte alter Rockheroen bei
Revival-Konzerten oder entsprechende Reflexe dieser Wiederentdeckung etwa auf dem
Moondog Matinee -Album von The Band (1973) oder auf
It’s Only Rock ‘n’ Roll
der Rolling Stones (1974)). Eine historisch vergleichende Betrachtung dieser Entwicklungen
wäre sicherlich ganz aufschlußreich.
Die einfachste Antwort auf die Frage nach dem Grund aber ist
wahrscheinlich, daß die Gegenwart als unerträglich angesehen wird und deswegen aus Sehnsucht nach einer
heilen Welt auf die Vergangenheit zurückgegriffen wird. Diese Bewegung konnte man schon an
Easy Rider
feststellen, und sie war nach der Niederlage im Vietnam-Krieg in den USA sicher noch
ausgeprägter (im Abspann von
American Graffiti , der dem Zuschauer die weiteren
Schicksale der Protagonisten erzählt – eine Form der Geschichtenfortführung, die hier nach meinen
Informationen zum ersten Mal verwendet wurde –, wird dementsprechend von dem Tod Terrys in Vietnam
berichtet). Unabdingbar ist indes auch die Rückwendung zur Gegenwart, wenn nach einer bestimmten Phase die
romantische Verklärung der Vergangenheit nicht mehr ihre sedative Funktion erfüllen kann. Das jedoch im
einzelnen zu untersuchen, wäre die Aufgabe eines Mentalitätshistorikers.
Von Interesse in diesem
Zusammenhang ist noch das Ziel der Rückwendung: da der Anspruch auf authentische Erfahrung nicht aufgegeben
wird, muß sich der historische Ort der Rückwendung dazu eignen: und das scheinen für die 70er vor
allem die frühen 60er zu sein, während es jetzt anscheinend die 70er werden, wenn man sich neuere
Revivalformen etwa in der Mode betrachtet. Sicherlich werden die entsprechenden Filme bald
folgen.
(Anm. d. Red.: In einer ironischen, die 70er-Mentalität der Lächerlichkeit
preisgebenden Form, gibt es eine solche Aufarbeitung bereits mit Wenzel Storchs Sommer der Liebe
(1990) – und ansatzweise in einer ganz und gar nicht ironischen oder nostalgischen
Form in
Dead Presidents
der Hughes-Brüder (Anm. d. Autors)).
Literatur
Leonard
Maltin’s Movie and Video Guide 1995. New York 1994.
Microsoft Cinemania 1992.
Horst
Schäfer/Dieter Baacke: Leben wie im Kino. Jugendkulturen und Film. Frankfurt 1994.
Johannes Ullmaier:
Pop Shoot Pop. Über Historisierung und Kanonbildung in der Popmusik. Rüsselsheim
1995.
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